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Podcast: Spielend subversiv

Die letzten Wochen und Monate waren sehr aufregend für mich. Ich habe endlich einen langgehegten Traum von mir umgesetzt: einen eigenen Podcast umzusetzen.

In Spielend subversiv sprechen Marina Weisband und ich über eine andere Form der Literatur: Liverollenspiel, also eine Mischung aus zuschauerlosem Improvisationstheater und Tischrollenspiel (Pen-&Paper-Rollenspiel). Wir möchten den Podcast einsteigerfreundlich halten und hoffen, auch Menschen dafür zu interessieren, die keine Liverollenspiele machen.

Lena Falkenhagen und Marina Weisband nebeneinander in Liverollenspiel-Gewandung, darüber der Schriftzug „Spielend subversiv“.

Was ist Liverollenspiel? Die Veranstalter mieten eine Burg oder anderen Veranstaltungsort (Zeltplatz z.B.) und denken sich eine Handlung oder Konflikt aus. Die Teilnehmenden spielen darin die (Haupt-)Figuren. Mit dazu passender Gewandung und Ausrüstung.

Im Liverollenspiel gibt es so viele verschiedene Formate, die alle auch unterschiedliche Mechaniken (oder Meta-Techniken, wie es hier oft genannt wird) besitzen.

In Folge 0 erklären Marina und ich, was Liverollenspiel ist und warum wir darüber sprechen, in Folge 1 wie so ein Liverollenspiel eigentlich vonstatten geht.

Warum möchte ich über Liverollenspiel (Live Action Roleplaying Games, kurz: Larp) sprechen? Ich halte es für eine völlig unterschätzte Kunstform. Spiel lehrt uns ganz „spielerisch“ von Kindesbeinen an wichtige Fähigkeiten. Spiel ist intensiv mit unserem Erforschen von Rollenbildern verknüpft. Gleichzeitig bietet Spiel einen sicheren Raum, in dem wir solche Rollen erkunden können – und das, ohne, dass wir es so richtig realisieren, also eher auf „subversive“ Weise.

In Skandinavien ist die „Nordic Larp„-Szene eng verknüpft mit der queeren und besonders der trans Szene. Genau aus dem oben genannten Grund: Man kann verschiedene Rollen und Identitäten ausprobieren und einerseits feststellen, wie wohl man sich damit fühlt, andererseits auch erste Schritte in einer Männer- oder Frauenrolle machen und Selbstvertrauen erwerben, ohne, dass es das eigene Privatleben beeinträchtigt. Der Zauberkreis des Spiels macht es möglich.

Als Professorin für Game Design interessiere mich auch intensiv für Larp-Theorie, die auch besonders aus dem Nordic-Bereich kommt. Das mache ich auch, um das Sprechen über Liverollenspiel, was wir darin tun, wie wir darüber reden, einer deutschen Spielerschaft näher zu bringen.

Ich denke, dass das Vokabular, über Liverollenspiel zu sprechen, wie auch die Differenzierung zwischen verschiedenen Formaten oft noch fehlt. „Liverollenspiel“ ist kein einzelnes Hobby, es ist eine Ansammlung von vielen. Und nicht jeder, der „Liverollenspiel“ sagt, meint dasselbe.

Hört gern mal rein!

Schreiben für Games, und wie es meinen Schreibprozess verändert

Im Augenblick finalisiere ich gerade mein neues Fantasy-Buch für den Piper-Verlag.

Dabei ist spannend zu beobachten, wie sich mein Schreibprozess im Laufe der Zeit verändert hat, während ich mehr an Computerspielen als an Romanen gearbeitet habe.
Und möglicherweise hätte ich es nicht einmal bemerkt.

Letztes Jahr stellte mir der scharfsinnige Dr. Souvik Mukherjee während der Konferenz „Literatur und Games“ vom Deutschen Literaturarchiv Marbach diese Frage: „Sag mal, Lena, wie hat das Schreiben für Spiele eigentlich dein Schreiben verändert?“

Ich war ganz verblüfft über diese Frage. Und ich hatte noch keine Antwort.

Jetzt, nachdem der erste Roman fast fertig ist, habe ich eine.

Ich schreibe nun schon seit 30 Jahren. Angefangen hat es mit Kurzgeschichten, also linearer Literatur. Sehr schnell kamen auch Spielebücher mit Abenteuern für Tabletop-Rollenspiele hinzu, also nicht-lineare Fiktion, die Spieler in einem Rollenspiel wie Das Schwarze Auge am Tisch selbst mit ihren eigenen Charakteren durchleben können.

Dann schrieb ich Romane. Viele Romane. Und damit war der Löwenanteil meines Werks lineare Fiktion. Mein Schreibprozess glich dem natürlich. In der Regel habe ich, mit dem einen oder anderen Rückgriff auf bereits Verfasstes, auch linear geschrieben, und das hat für mich gut funktioniert.

Seit nunmer 13 Jahren schreibe ich nun sowohl die Struktur (ich nenne es „strategische Erzählung“) als auch mehrere tausend Zeilen Computerspieldialoge für eine Vielzahl von interaktiven Spielen.

Spiele leben vom Testen. Das Testen von Daily Builds oder anderen Testversionen eines Spiels zeigt einem, wie sich die Geschichte aus der Sicht eines Spielers anfühlt. Bei interaktiven Spielen gibt es in der Regel verschiedene Versionen von Handlungssträngen, denen der Spieler folgen kann.

Das Ergebnis ist ein fragmentierter Schreibprozess

Man schreibt etwas, man testet es. Wenn man merkt, dass eine Auswahloption oder eine Aufgabe fehlt, fügt man sie hinzu und testet sie. Und von vorn.

Und jetzt, wo ich meinen neuen Fantasy-Roman mit Thomas Finn für den Piper Verlag schreibe, in dem ich zu dem alten und sehr bekannten Kontinent Aventurien der Offline-Spielwelt Das Schwarze Auge zurückkehre, schreibe ich plötzlich in derselben Weise.

Ich schreibe die wichtigsten Punkte der Handlung. Ich lese. Ich springe an Punkte, an denen etwas fehlt und füge einige charakterisierende Dialoge oder Konflikte zwischen Charakteren hinzu. Ich lese. Ich springe zurück, um mehr Handlung oder eine Nebenquest für einen der Charaktere hinzuzufügen. Ich lese. Und von vorn.

So wächst mein Roman ganz wie ein Spiel, nicht unähnlich einem Garten, aus verschiedenen Wurzeln und Pflanzen.

Ich mag das sehr. ❤

Und vielen Dank an Souvik Mukherjee für die Frage, die er letztes Jahr gestellt hat. Sie hat mir sehr geholfen, zu erkennen, was in meinem Prozess vor sich geht.

Und jetzt höre ich auf zu prokrastinieren und gehe zurück an die Arbeit am Roman.

Quartett der Spielekultur im Deutschen Literaturarchiv Marbach

Foto von Eugen Pfister; es zeigt den Humboldt-Saal im DLA. Am Pult Dilan Cakir, auf der Bühne Sebastian Möhring, Sonia Fizek und Lena Falkenhagen, online an der Wand dabei Tracy Fullerton.

Manche Termine sind im Leben etwas ganz Besonderes. Die Tagung Literatur und Games im Deutschen Literaturarchiv war insgesamt einer der Highlights meiner postpandemischen Aktivitäten. Drei Tage akademischer Austausch mit einigen der Größen der europäischen Gamestheorie – das war nicht nur etwas für den Kopf, sondern auch etwas fürs Herz, denn diese Tagung verheiratete meine beiden Herzensthemen – Literatur und Computerspiele – endlich miteinander.

Ich hatte die Ehre, vom Forschungsverbund Marbach-Weimar-Wolfenbüttel eingeladen worden zu sein, um auf der Tagung im ehrwürdigen Humboldt-Saal die neueste Iteration des Quartetts der Spielekultur zu moderieren. Gleichzeitig war ich an allen drei Tagen der Konferenz dabei und habe mir die Vorträge angehört, die tief in die Materie eingestiegen sind.

Mit auf dem Podium dabei waren Sonia Fizek (Cologne Game Lab), Sebastian Möhring (Uni Potsdam, Digarec) sowie Tracy Fullerton (UCLA etc.pp.). Nachschauen kann man das Quartett mit dem Titel „Forking Paths. Narration in Games“ hier.

Am besten gefallen haben mir natürlich die Gespräche über Games Literacy, also das „Wie-liest-man-Games“ der Theorie. Aber auch sämtliche Gespräche über Archivierung (z.B. das man den Prozess der Spieleerstellung nicht vergessen darf) und deren Probleme und was sich dafür eignet (Steam? GoG?) war spannend.

Phantastische Menschen kamen aus Canada und Indien (ich hoffe ich begegne Souvik Mukherjee aus Kalkutta bald wieder!), und ich bin Eugen Pfister zum ersten Mal in Person begegnet, auch wenn er mir von Twitter schon als alter Bekannter vorkam. Und mein lieber Exkollege Csongor Baranyai war dabei; das ist immer eine Freude. Mein Höhepunkt war die Closing Keynote von Espen Aarseth (Uni Kopenhagen), der Fallout: New Vegas als bislang größten Roman des 21. Jahrhunderts bezeichnete …

Neun Menschen nach der Konferenz vor dem Ochsen in Marbach.

Die Tage waren nicht nur wahnsinnig lehrreich und interessant (mit Ausklang im Garten des Schillermuseums und Besichtigung des Museums der Modernen Literatur, wo ich eine Handschrift von Paul Celan und ein handgeschriebenes Gedicht von Ingeborg Bachmann sehen durfte!), sondern im idyllischen Marbach auch geeignet, ein wenig runterzukommen und den sehr betriebsamen Juni angenehm ausklingen zu lassen.

Ich bin immer noch ganz beeindruckt, dass das Literaturarchiv Marbach diese Tagung zur Intersektion von Games und Literatur abgehalten hat und geehrt, dass ich dabei gewesen bin. Mir als altem Schillerfan hat der Ort besonders gut gefallen.

Ich danke Kai Uwe Peter von der Deutschen Schillergesellschaft, Anna Kinder und Dilan Cakir für die wunderbare Organisation.

Ich sage mal ganz leichtsinnig: jederzeit wieder!

Keynote Konferenz „Außenpolitik & Games“

Gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt veranstaltete die Stiftung digitale Spielekultur am 13.06.2023 die Fachkonferenz „Public Diplomacy: Außenpolitik und Games“. Darin durfte ich die Keynote zum Thema „Die Macht der Verantwortung“ halten, in der ich über Games aus Deutschland als außenpolitische Visitenkarte sowie Serious Games aus Deutschland sprach.

Das ganze Projekt begeistert mich sehr. Kunst und Kultur repräsentieren die Gesellschaft, aus der sie kommen; folgerichtig sind Computerspiele so gut geeignet für eine Repräsentation Deutschlands im Ausland wie Literatur, Filme, Serien. Unsere Gamesbranche kann meines Erachtens besonders in der Kategorie Serious Games und der historischen Vergangenheitsbewältigung brillieren.

Ich bedanke mich für dieses tolle Projekt herzlich beim Auswärtigen Amt, dass die Finanzierung trägt, und bei Dr. Tabea Widmann, der Leiterin des Projekts in der Stiftung.

Deutscher Computerspielpreis für Beholder 3!

Alle Gewinner des DCP 2023 auf der Bühne im Spindler & Klatt.

Der Deutsche Computerspielpreis DCP wurde am 11. Mai in Berlin vergeben – und was soll ich sagen – wir (das heißt Paintbucket Games) haben gewonnen! Das gekürte Spiel ist Beholder 3, für das wir im Dezember bereits zwei Deutsche Entwicklerpreise erhalten durften.

Beholder 3 gewann den Preis für das Beste Serious Game. Und dann sind wir mit Paintbucket Games als Bestes Studio gekürt worden. Beides ist eine große Ehre!

Von links nach rechts: Lena, Mona, Laura, Jörg, Almut, Vivi und Sebastian mit zwei Statuetten des Deutschen Computerspielpreises für Beholder 3 auf der Preisverleihung 2023.

Die Preisverleihung fand dieses Jahr im Spindler & Klatt direkt an der Spree statt. Vor der Show konnten wir ganz entspannt auf dem Ponton auf dem Wasser entspannen – wobei wir doch sehr aufgedreht waren, ob wir einen Preis erhalten oder nicht.

Lena Falkenhagen, Jörg Friedrich, Sebastian Schulz in einer Sitzecke auf einem Ponton auf der Spree im Spindler & Klatt vor der Preisverleihung des DCP 2023.

Natürlich traf man auch andere tolle Menschen, die man ewig nicht gesehen hat. Ich genieße es ja immer, mich mit den Kollegen aus der Lehre auszutauschen: Mit Eric Jannot, Michael Helbig und Jens Junge kann man phantastisch über Spiele und ihre Struktur abnerden.

Lena mit dem großartigen Eric Jannot vor der DCP-Show.

Die Show ging los, moderiert von Kathrin Bauerfeind und Uke Bosse. Nach drei Jahren, in denen die Verleihung jeweils nur online stattfand, hat die Branche es sichtbar genossen, endlich wieder Life und in Farbe vor Ort zu sein. Hohen Besuch hatten wir auch – Staatssekretär Michael Kellner war persönlich dabei.

Deutscher Computerspielpreis 2023

Und dann hatten wir plötzlich gewonnen – und zwar den Preis für das Beste Serious Game! Ich hatte ja sehr darauf gehofft, diesen Preis zu erhalten, denn das ist ja „meine“ Kategorie. Als Narrative Director für Beholder 3 habe ich harte Arbeit und lange Stunden investiert, um dieses Spiel rund und schön zu machen. Der Preis ist also eine schöne Anerkennung.

Ein Ausschnitt der „Berliner Gewinner*innen“ des DCP auf der Bühne.

Nach der Show konnte man noch zwanglos Zeit im Spindler & Klatt verbringen, leckeren Weißwein trinken und sich miteinander freuen. Die Zeit verging wie im Flug.

Vor der Fotowand des DCP mit Prof. Michael Helbig und Prof. Jens Junge, meinen beiden lieben Kollegen.

Zwei Preise für Beholder 3 beim Deutschen Entwicklerpreis!

Von links nach rechts: Sebastian, Jörg, Lena, Mona, Jona auf der Bühne mit Preis Bestes Game Beyond Entertainment.

https://games.nrw/Der Deutsche Entwicklerpreis ist eine vom Verband games:nrw organisierte Preisverleihung aus der Branche; in der Jury sitzen Vertreter*innen aller Disziplinen der Computerspiele-Branche. Die Preise werden einmal im Jahr in Köln verliehen und sind undotiert (bis auf den Preis für den Newcomer des Jahres).

Dieses Jahr war das Spiel Beholder 3 von Paintbucket Games (Publisher: Alawar) in zwei Kategorien nominiert, Beste Story und Best Game Beyond Entertainment.

Ich hatte als Narrative Director des Spiels auf einen von beiden Preisen gehofft – natürlich auf den für die beste Story – aber dass wir schlussendlich beide Preise erhalten würden, davon habe ich nicht zu träumen gewagt.

Ich danke den Jurys der beiden Kategorien, in denen ich selbst schon so oft gesessen habe und die Qual der Wahl hatte – wie schön, dass ich dieses Jahr nicht die Entscheidungen treffen musste! Besonders das Spiel von Anomaly Games, The Fermi Paradox hätte ich auch auf dem Treppchen gesehen …

Auf der Bühne der Verleihung des Deutschen Entwicklerpreises bei der Dankesrede für die „Beste Story“: Jörg, Sebastian, Lena, Jona und Mona mit der Moderatorin Deborah. Mona hält den Preis, Jona die Urkunde, Lena das Mikro. Bild von Tabea Widmann.

Für Beholder 3 habe ich den strategischen Erzählbogen, den Questaufbau, viele, viele Dialoge geschrieben und lektoriert. Es war mir ein Fest. Und für kurze Zeit durfte ich den Preis, der natürlich an Paintbucket Games geht, festhalten:

Lena mit der Statuette des Entwicklerpreises „Beste Story“ für Beholder 3

Der Abend im Palais am Zoo in Köln war ganz zauberhaft; es war die erste Präsenzverleihung der Entwicklerpreise seit Beginn der Pandemie. Besonders die Begegnung mit den Kolleg*innen freute mich sehr, denn wir begannen die Arbeit Ende 2019; im März 2020 begann die Pandemie, so dass wir viel online zusammengearbeitet haben und viele Meetings über Discord stattfanden.

Ich danke dem besten Team der Welt (nicht auf der Bühne: Mona, Manu, Sam, Hannah) und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit beim aktuellen Spiel mit Paintbucket Games: The Darkest Files.

Key Art vom neuen Paintbucket-Spiel „The Darkest Files“. Zu sehen die Hauptfigur Esther Katz, eine Staatsanwältin in Fritz Bauers Abteilung, die ehemalige Nazis in der jungen BRD ihrer Verbrechen zu überführen versucht.

Nachruf Karl-Heinz Witzko

Grabkranz mit Foto von Karl-Heinz Witzko und Inszenierten Kerzen

Am Donnerstag den 17.11.2022 trugen wir unseren Freund und alten Weggefährten Karl-Heinz Witzko in Bremen auf dem Riensberger Friedhof zu Grabe.

Karli war ein Weggefährte aus einer Zeit, in der ich beruflich Wurzeln schlug. Mit dem Schwarzen Auge machte ich die ersten Schritte ins Schreiben, in die Branche, die mir später so viel bedeuten würde: die Buchbranche; gleichzeitig aber auch der Weg in die Spielebranche.

Ich lernte Karli 1993 im Rahmen des Baronsspiels des Rollenspiels Das Schwarze Auge kennen. Als streitbare Menschen ordnete der damalige Redakteur Niels Gaul uns beide in die Region Almada ein, jenen Landstrich nicht minder streitbarer Helden.
Es ergab sich sehr schnell ein enger Kontakt über Redaktionsarbeit und -Sitzungen, über das Schreiben von Artikeln des Aventurischen Boten, jener größtenteils intradiegetischen Zeitung der Welt Aventurien.

In der Redaktion des Schwarzen Auges war Karli immer auch der Verfechter der Außenseiter, die nicht im Schlaglicht der Aufmerksamkeit standen. Er wählte die Randregionen wie Maraskan, Nostria – Landstriche, in denen man noch frei erzählen konnte; in denen man noch absurd sein konnte; menschlich sein konnte.

Ein hölzerner Diskus nach maraskanischem Vorbild, gefertigt von Wolf Craft Armour.

Karli war sicher auch einer der intelligentesten Menschen, die ich kenne, und hinterfragte vieles, wenn nicht alles, was ihm begegnete. Unter den 10-12 Dickköpfen in der Redaktion war er sicher der dickköpfigste. Er war auch einer von anfangs vielen Kettenrauchern, die dafür sorgten, dass man in Redaktionssitzungen die Luft mit dem Messer schneiden konnte. Manchmal lag es auch am Zigarettenrauch.

Karli blickte scharfäugig durch Widersprüche in Argumentationsketten und Meinungen. Ich sehe ihn vor mir, wie er sich mit vor Spannung bebender Lippe zurückhalten musste, wenn er zu einer Antwort ansetzte, von der er wusste oder ahnte, dass man sie nicht verstehen würde, weil man seine aus obskuren Quellen stammenden Referenzen (feministischer französischer Jazz?) nicht verstand, oder sich selbst mit den eigenen Denkansätzen den Blick auf die Logik verstellte.

Anfang der 2000 feierten mein damaliger Lebensgefährte, einige Freunde und ich gemeinsam mit Karli Rollenspielrunden zu Silvester, in denen wir DSA spielten. Dabei rauchte Karli so viel, dass er nach einem ausgesprochen kalten Silvester, das er strickt vor der Tür rauchen musste, mit einer Lungenentzündung im Bett lag. Die Zigaretten reduzieren ging aber leider nicht.

Er spielte seinen Graf Danilo, einen Elfen, der sich zu den Menschen gesellt hatte. Manchmal ließ sich dieser Elf auch dazu herab, sich in deren Belange einzumischen. Dies einte viele seiner Figuren – der Mangel an Motivation, sich in das menschliche Chaos hinabzubegeben.

Der übergewichtige Moha, der Elf im Menschenadel, der maraskanische Mörder im Exil – Karlis Charaktere waren wieder Außenseiter, die die Menschen mit unverstelltem Blick mit Abstand analysieren und bewerten konnten.

Ich frage mich, ob dieser Topos in ihm eine besondere Resonanz besaß.

Auszug mit Urne und Kranz zum Grab.

Karli schrieb auch nach dem Schwarzen Auge weiter; doch wie bei vielen anderen Autor*innen erwies sich dieser Beruf nicht als Spaziergang. Doch er begleitete einige hier auf dem Weg weiter, und spielte auch trotz Pandemie DSA– wie so viele von uns fanden die Runden online statt.

Die letzten Jahre von Karlis Lebens waren von Krankheit geprägt. Schließlich versagte ihm der Körper den Dienst bei einer Krebstherapie.

Ohne seine Online-Runde hätten wir von Karlis Tod vermutlich erst Wochen später erfahren. Wir haben es Annika Rödders dunklen Ahnungen, Telefonaten und Organisation zu verdanken, dass wir von seinem Tod wissen und gemeinsam an seinem Grab stehen konnten.

Jörg (Hampi) Middendorf haben wir zu verdanken, dass wir ohne viel Gedöns so manche Grenze der Bürokratie überwinden konnten.

Abschied am Grab.

Und so Recht es Karli wohl gewesen wäre, sich aus dem Leben zu schleichen; er geht doch nicht unbemerkt. Viele Menschen trugen zu seiner Beerdigung bei. Das zeigt, wie viele Menschen von Karli Abschied nehmen möchten. Wir bedanken uns für die atemberaubende Beteiligung.

Karli hinterlässt eine Lücke in einem Freundeskreis, der sich gegenseitig oft aus den Augen lässt, aber doch nie so ganz aus dem Blick verliert.

Karli schrieb selbst in einem seiner Maraskan-Romane: „Wir kommen, wir gehen und wir kommen wieder.“

Das ist zwar der Glaubenssatz einer fiktiven Religion eines Fantasy-Rollenspiels, aber er wirkt auf seiner Beerdigung angemessen.

Also: Komm bald wieder, Karli.

Bis dahin: Mach es gut.

Nina Wendelken, Friederike Hölscher, (Bernhard Hennen, verborgen), Jörg Middendorf, Lena Falkenhagen

Ein Dank für die musikalische Untermalung der Trauerfeier gilt Friederike Hölscher und Nina Wendelken, die live für den feierlichen Rahmen sorgten, und Blue Sid, der eine Coverversion für den Ausmarsch einspielte.

Und wer Karli nun auf dem Friedhof besuchen möchte, dem sei diese Ansicht mitgegeben, um sich zu orientieren. Der Riensberger Friedhof hat einen Parkplatz an der Friedhofstraße, auf dem man das Auto stehen lassen kann.

Alle Bilder (bis auf das Foto des Übersichtsplans) sind von Hacky Hackbart. Vielen Dank dafür.

Polit-Satire „Beholder 3“ im Spannungfeld des Kriegs

Beholder 3 von @Paintbucket Games

Spiele zu entwickeln ist ein komplexer Prozess. Ich darf verkünden: Beholder 3 ist erschienen, und es macht sich sowohl im Verkauf wie auch in der kritischen Presse sehr gut. Dabei geriet das Spiel kurz vor Veröffentlichung in die Finanzfronten des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine.

Im Oktober 2020 begann für mich die Arbeit mit dem berliner Gamingstudio Paintbucket Games an „Beholder 3“. Am 3.3. 2022 erschien das Spiel nach 17 Monaten Entwicklung. Der Publisher, Alawar, ist ein russisches Unternehmen, das bereits Beholder und Beholder 2 von russischen Studios hat anfertigen lassen. Über Through the Darkest of Times ist Alawar dann auf Paintbucket Games aufmerksam geworden. Und Paintbucket bat mich, Narrative Director des Spiels zu sein.

In Beholder 3 spielen wir Frank Schwarz, einen zum Hausmeister einer staatlichen Liegenschaft degradierten Beamten des Heimatschutzministeriums. Sein Auftrag: seine Nachbarn zu überwachen. Wir bespitzeln, beobachten, denunzieren und kompromittieren die Menschen um uns herum, um in einem System zu überleben, das keine menschlichen Züge mehr trägt. Überwacht werden wir von der allmächtigen Lotte Altmann, ihres Zeichens Chefin des Ministeriums.

Lotte Altmann, Chefin des Ministeriums

Die „Größte Union“ und der „Große Anführer“ sind dabei auf die satirische Spitze getriebene Stellvertreter für totalitäre Systeme auf der ganzen Welt. Von Beholder unterscheidet sich Beholder 3 dadurch, dass ein der Perestroika nicht unähnlicher Systemfrühling angebrochen ist, in dem sich die Hardliner, die Reformer und die Revolutionäre gegenüber stehen und alle wissen, was das beste für die Größte Union und ihre Bewohner*innen ist.

Ich liebte Beholder, mochte Beholder 2 und freute mich daher königlich über die Anfrage von Jörg Friedrich, an Beholder 3 mitzuarbeiten. Mir war wichtig, die Situation von Frauen in einem totalitären Staat zu beschreiben und eine lesbische Storyline einzuweben, die für die Entscheidung der Spieler im Verlauf sehr relevant werden würde. Alawar stimmte dem zu, was ich für ein russisches Studio im 2020 gegebenen Klima erfreulich fand.

Kim Schwarz, unsere Tochter, hat noch nie so in die Gesellschaft gepasst. Auch Frank weiß anfangs nicht, dass sie einen sogenannte „Nonkonforme“ ist, eine Verklausulierung für Menschen, die bei homosexuellem Verhalten erwischt werden. Über den Verlauf des Spiels muss man sich als Frank Schwarz dann entscheiden, ob man seine Karriere im System über das Wohl seiner Lieblingstochter Kim stellt.

Frank Schwarz und seine Tochter Kim mit ihrem neuen Haustier, einer Ratte.

Was am Anfang nach einem gemeinsamen Plan für mehr Sichtbarkeit von LGBTIQ+ aussah, entwickelte sich dann mit dem Krieg Russland gegen die Ukraine zum Nervenspiel. Plötzlich musste ich mir Gedanken darüber machen, ob meine lesbische Storyline wichtig genug ist, dass andere Menschen in Russland dafür vielleicht ins Gefängnis gehen müssen.

Und auch auf wirtschaftlicher Seite wurde es noch ein Veröffentlichungsthriller: Beholder 3 sollte am 3.3.2022 auf Steam erscheinen. Am 2.3. schloss Steam den russischen Markt (verständlicherweise), um mit den Sanktionen des Westens gegen Russland auch hier die Geldströme zu unterbrechen. Für Beholder 3 fiel damit ein Drittel des angestammten Marktes weg, wie Jörg Friedrich in diesem Interview des Deutschlandfunks angibt. Und wir wussten nicht, ob es Alawar noch lange geben würde, wenn diese ihre Angestellten nicht bezahlen können.

All das ist ein kleines Opfer in einem großen, schrecklichen Kriegsgeschehen – und spielt natürlich im Vergleich zu den Menschenleben und Existenzen, die gerade in der Ukraine von den Bomben vernichtet werden, keine große Rolle.

Das Beispiel Alawar und Beholder 3 zeigt aber auch, dass die Sanktionen auch fortschrittliche, offene Kulturschaffende betreffen, die mit ihren Werken auf dem russischen Markt etwas bewirken könnten. Und sei es die Empathie mit dem Leid einer jungen lesbischen Frau in der Größten Union aufzubringen, die einfach nur versucht, sie selbst zu sein und ihr Leben zu leben, und am System zerschellt.

Beholder 3 im Playtest!

Artwork Beholder 3 @Paintbucket Games

Seit Ende 2020 arbeite ich mit dem Team von Paintbucket Games an einem neuen Spiel. Beholder 3 spielt im Beholder-Franchise des russischen Publishers Alawar. Ich habe auf meinem Patreon schon ein, zwei Einblicke an Patrons dazu gegeben und schreibe demnächst auch noch etwas um den Übergang von NPC-Konzept zu Art-Umsetzung.

Seit Gestern ist der Playtest von #Beholder3 geöffnet. Dazu meldet man sich auf dem Discord-Server von Alawar an und kann dort im Zweifel auch dem Devteam ganz direkt Fragen stellen!

Seit heute gibt es auch schon den ersten Fantrailer, der eines der tragischsten Micronarrative des Games mit abbildet. Ich bin sehr gespannt auf das Feedback und freue mich darauf, es einzuarbeiten!

Fantrailer: https://www.youtube.com/watch?v=mqbnNK0s_y8

Playtest: https://store.steampowered.com/app/1570070/Beholder_3/

#Bissfest|er Podcast

Obwohl im Umzug begriffen, hat mich Stephan Reichart, der Managing Director der Devcom-Konferenz, in seinen Podcast #Bissfest eingeladen.

Eigentlich wollten wir über Essen reden, da Stephans Leben sich stark um Kochen, das Essen und das Genießen dreht. Das gelang nur so halb.

Stattdessen sprachen wir über meine Anfänge und die ersten Romane, über schwule und bisexuelle Charaktere in Fantasy, darüber, warum George RR Martin sich in den Plotsträngen von Game of Thrones total vergaloppiert hat, über das Leidenlassen von seinen Figuren und viel, viel mehr.

Eigentlich höre ich mir selbst ungern zu, aber dieser Podcast ist hochvergnüglich geworden.

Stephan streamt auch viel und gern auf Twitch, manchmal über Games, sehr oft über das Kochen.