Alle Gewinner des DCP 2023 auf der Bühne im Spindler & Klatt.
Der Deutsche Computerspielpreis DCP wurde am 11. Mai in Berlin vergeben – und was soll ich sagen – wir (das heißt Paintbucket Games) haben gewonnen! Das gekürte Spiel ist Beholder 3, für das wir im Dezember bereits zwei Deutsche Entwicklerpreise erhalten durften.
Beholder 3 gewann den Preis für das Beste Serious Game. Und dann sind wir mit Paintbucket Games als Bestes Studio gekürt worden. Beides ist eine große Ehre!
Von links nach rechts: Lena, Mona, Laura, Jörg, Almut, Vivi und Sebastian mit zwei Statuetten des Deutschen Computerspielpreises für Beholder 3 auf der Preisverleihung 2023.
Die Preisverleihung fand dieses Jahr im Spindler & Klatt direkt an der Spree statt. Vor der Show konnten wir ganz entspannt auf dem Ponton auf dem Wasser entspannen – wobei wir doch sehr aufgedreht waren, ob wir einen Preis erhalten oder nicht.
Lena Falkenhagen, Jörg Friedrich, Sebastian Schulz in einer Sitzecke auf einem Ponton auf der Spree im Spindler & Klatt vor der Preisverleihung des DCP 2023.
Natürlich traf man auch andere tolle Menschen, die man ewig nicht gesehen hat. Ich genieße es ja immer, mich mit den Kollegen aus der Lehre auszutauschen: Mit Eric Jannot, Michael Helbig und Jens Junge kann man phantastisch über Spiele und ihre Struktur abnerden.
Lena mit dem großartigen Eric Jannot vor der DCP-Show.
Die Show ging los, moderiert von Kathrin Bauerfeind und Uke Bosse. Nach drei Jahren, in denen die Verleihung jeweils nur online stattfand, hat die Branche es sichtbar genossen, endlich wieder Life und in Farbe vor Ort zu sein. Hohen Besuch hatten wir auch – Staatssekretär Michael Kellner war persönlich dabei.
Deutscher Computerspielpreis 2023
Und dann hatten wir plötzlich gewonnen – und zwar den Preis für das Beste Serious Game! Ich hatte ja sehr darauf gehofft, diesen Preis zu erhalten, denn das ist ja „meine“ Kategorie. Als Narrative Director für Beholder 3 habe ich harte Arbeit und lange Stunden investiert, um dieses Spiel rund und schön zu machen. Der Preis ist also eine schöne Anerkennung.
Ein Ausschnitt der „Berliner Gewinner*innen“ des DCP auf der Bühne.
Nach der Show konnte man noch zwanglos Zeit im Spindler & Klatt verbringen, leckeren Weißwein trinken und sich miteinander freuen. Die Zeit verging wie im Flug.
Vor der Fotowand des DCP mit Prof. Michael Helbig und Prof. Jens Junge, meinen beiden lieben Kollegen.
Von links nach rechts: Sebastian, Jörg, Lena, Mona, Jona auf der Bühne mit Preis Bestes Game Beyond Entertainment.
https://games.nrw/Der Deutsche Entwicklerpreis ist eine vom Verband games:nrw organisierte Preisverleihung aus der Branche; in der Jury sitzen Vertreter*innen aller Disziplinen der Computerspiele-Branche. Die Preise werden einmal im Jahr in Köln verliehen und sind undotiert (bis auf den Preis für den Newcomer des Jahres).
Dieses Jahr war das Spiel Beholder 3 von Paintbucket Games (Publisher: Alawar) in zwei Kategorien nominiert, Beste Story und Best Game Beyond Entertainment.
Ich hatte als Narrative Director des Spiels auf einen von beiden Preisen gehofft – natürlich auf den für die beste Story – aber dass wir schlussendlich beide Preise erhalten würden, davon habe ich nicht zu träumen gewagt.
Ich danke den Jurys der beiden Kategorien, in denen ich selbst schon so oft gesessen habe und die Qual der Wahl hatte – wie schön, dass ich dieses Jahr nicht die Entscheidungen treffen musste! Besonders das Spiel von Anomaly Games, The Fermi Paradox hätte ich auch auf dem Treppchen gesehen …
Auf der Bühne der Verleihung des Deutschen Entwicklerpreises bei der Dankesrede für die „Beste Story“: Jörg, Sebastian, Lena, Jona und Mona mit der Moderatorin Deborah. Mona hält den Preis, Jona die Urkunde, Lena das Mikro. Bild von Tabea Widmann.
Für Beholder 3 habe ich den strategischen Erzählbogen, den Questaufbau, viele, viele Dialoge geschrieben und lektoriert. Es war mir ein Fest. Und für kurze Zeit durfte ich den Preis, der natürlich an Paintbucket Games geht, festhalten:
Lena mit der Statuette des Entwicklerpreises „Beste Story“ für Beholder 3
Der Abend im Palais am Zoo in Köln war ganz zauberhaft; es war die erste Präsenzverleihung der Entwicklerpreise seit Beginn der Pandemie. Besonders die Begegnung mit den Kolleg*innen freute mich sehr, denn wir begannen die Arbeit Ende 2019; im März 2020 begann die Pandemie, so dass wir viel online zusammengearbeitet haben und viele Meetings über Discord stattfanden.
Ich danke dem besten Team der Welt (nicht auf der Bühne: Mona, Manu, Sam, Hannah) und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit beim aktuellen Spiel mit Paintbucket Games: The Darkest Files.
Key Art vom neuen Paintbucket-Spiel „The Darkest Files“. Zu sehen die Hauptfigur Esther Katz, eine Staatsanwältin in Fritz Bauers Abteilung, die ehemalige Nazis in der jungen BRD ihrer Verbrechen zu überführen versucht.
Grabkranz mit Foto von Karl-Heinz Witzko und Inszenierten Kerzen
Am Donnerstag den 17.11.2022 trugen wir unseren Freund und alten Weggefährten Karl-Heinz Witzko in Bremen auf dem Riensberger Friedhof zu Grabe.
Karli war ein Weggefährte aus einer Zeit, in der ich beruflich Wurzeln schlug. Mit dem Schwarzen Auge machte ich die ersten Schritte ins Schreiben, in die Branche, die mir später so viel bedeuten würde: die Buchbranche; gleichzeitig aber auch der Weg in die Spielebranche.
Ich lernte Karli 1993 im Rahmen des Baronsspiels des Rollenspiels Das Schwarze Auge kennen. Als streitbare Menschen ordnete der damalige Redakteur Niels Gaul uns beide in die Region Almada ein, jenen Landstrich nicht minder streitbarer Helden. Es ergab sich sehr schnell ein enger Kontakt über Redaktionsarbeit und -Sitzungen, über das Schreiben von Artikeln des Aventurischen Boten, jener größtenteils intradiegetischen Zeitung der Welt Aventurien.
In der Redaktion des Schwarzen Auges war Karli immer auch der Verfechter der Außenseiter, die nicht im Schlaglicht der Aufmerksamkeit standen. Er wählte die Randregionen wie Maraskan, Nostria – Landstriche, in denen man noch frei erzählen konnte; in denen man noch absurd sein konnte; menschlich sein konnte.
Ein hölzerner Diskus nach maraskanischem Vorbild, gefertigt von Wolf Craft Armour.
Karli war sicher auch einer der intelligentesten Menschen, die ich kenne, und hinterfragte vieles, wenn nicht alles, was ihm begegnete. Unter den 10-12 Dickköpfen in der Redaktion war er sicher der dickköpfigste. Er war auch einer von anfangs vielen Kettenrauchern, die dafür sorgten, dass man in Redaktionssitzungen die Luft mit dem Messer schneiden konnte. Manchmal lag es auch am Zigarettenrauch.
Karli blickte scharfäugig durch Widersprüche in Argumentationsketten und Meinungen. Ich sehe ihn vor mir, wie er sich mit vor Spannung bebender Lippe zurückhalten musste, wenn er zu einer Antwort ansetzte, von der er wusste oder ahnte, dass man sie nicht verstehen würde, weil man seine aus obskuren Quellen stammenden Referenzen (feministischer französischer Jazz?) nicht verstand, oder sich selbst mit den eigenen Denkansätzen den Blick auf die Logik verstellte.
Anfang der 2000 feierten mein damaliger Lebensgefährte, einige Freunde und ich gemeinsam mit Karli Rollenspielrunden zu Silvester, in denen wir DSA spielten. Dabei rauchte Karli so viel, dass er nach einem ausgesprochen kalten Silvester, das er strickt vor der Tür rauchen musste, mit einer Lungenentzündung im Bett lag. Die Zigaretten reduzieren ging aber leider nicht.
Er spielte seinen Graf Danilo, einen Elfen, der sich zu den Menschen gesellt hatte. Manchmal ließ sich dieser Elf auch dazu herab, sich in deren Belange einzumischen. Dies einte viele seiner Figuren – der Mangel an Motivation, sich in das menschliche Chaos hinabzubegeben.
Der übergewichtige Moha, der Elf im Menschenadel, der maraskanische Mörder im Exil – Karlis Charaktere waren wieder Außenseiter, die die Menschen mit unverstelltem Blick mit Abstand analysieren und bewerten konnten.
Ich frage mich, ob dieser Topos in ihm eine besondere Resonanz besaß.
Auszug mit Urne und Kranz zum Grab.
Karli schrieb auch nach dem Schwarzen Auge weiter; doch wie bei vielen anderen Autor*innen erwies sich dieser Beruf nicht als Spaziergang. Doch er begleitete einige hier auf dem Weg weiter, und spielte auch trotz Pandemie DSA– wie so viele von uns fanden die Runden online statt.
Die letzten Jahre von Karlis Lebens waren von Krankheit geprägt. Schließlich versagte ihm der Körper den Dienst bei einer Krebstherapie.
Ohne seine Online-Runde hätten wir von Karlis Tod vermutlich erst Wochen später erfahren. Wir haben es Annika Rödders dunklen Ahnungen, Telefonaten und Organisation zu verdanken, dass wir von seinem Tod wissen und gemeinsam an seinem Grab stehen konnten.
Jörg (Hampi) Middendorf haben wir zu verdanken, dass wir ohne viel Gedöns so manche Grenze der Bürokratie überwinden konnten.
Abschied am Grab.
Und so Recht es Karli wohl gewesen wäre, sich aus dem Leben zu schleichen; er geht doch nicht unbemerkt. Viele Menschen trugen zu seiner Beerdigung bei. Das zeigt, wie viele Menschen von Karli Abschied nehmen möchten. Wir bedanken uns für die atemberaubende Beteiligung.
Karli hinterlässt eine Lücke in einem Freundeskreis, der sich gegenseitig oft aus den Augen lässt, aber doch nie so ganz aus dem Blick verliert.
Karli schrieb selbst in einem seiner Maraskan-Romane: „Wir kommen, wir gehen und wir kommen wieder.“
Das ist zwar der Glaubenssatz einer fiktiven Religion eines Fantasy-Rollenspiels, aber er wirkt auf seiner Beerdigung angemessen.
Ein Dank für die musikalische Untermalung der Trauerfeier gilt Friederike Hölscher und Nina Wendelken, die live für den feierlichen Rahmen sorgten, und Blue Sid, der eine Coverversion für den Ausmarsch einspielte.
Und wer Karli nun auf dem Friedhof besuchen möchte, dem sei diese Ansicht mitgegeben, um sich zu orientieren. Der Riensberger Friedhof hat einen Parkplatz an der Friedhofstraße, auf dem man das Auto stehen lassen kann.
Alle Bilder (bis auf das Foto des Übersichtsplans) sind von Hacky Hackbart. Vielen Dank dafür.
Spiele zu entwickeln ist ein komplexer Prozess. Ich darf verkünden: Beholder 3 ist erschienen, und es macht sich sowohl im Verkauf wie auch in der kritischen Presse sehr gut. Dabei geriet das Spiel kurz vor Veröffentlichung in die Finanzfronten des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine.
Im Oktober 2020 begann für mich die Arbeit mit dem berliner Gamingstudio Paintbucket Games an „Beholder 3“. Am 3.3. 2022 erschien das Spiel nach 17 Monaten Entwicklung. Der Publisher, Alawar, ist ein russisches Unternehmen, das bereits Beholder und Beholder 2 von russischen Studios hat anfertigen lassen. Über Through the Darkest of Times ist Alawar dann auf Paintbucket Games aufmerksam geworden. Und Paintbucket bat mich, Narrative Director des Spiels zu sein.
In Beholder 3 spielen wir Frank Schwarz, einen zum Hausmeister einer staatlichen Liegenschaft degradierten Beamten des Heimatschutzministeriums. Sein Auftrag: seine Nachbarn zu überwachen. Wir bespitzeln, beobachten, denunzieren und kompromittieren die Menschen um uns herum, um in einem System zu überleben, das keine menschlichen Züge mehr trägt. Überwacht werden wir von der allmächtigen Lotte Altmann, ihres Zeichens Chefin des Ministeriums.
Lotte Altmann, Chefin des Ministeriums
Die „Größte Union“ und der „Große Anführer“ sind dabei auf die satirische Spitze getriebene Stellvertreter für totalitäre Systeme auf der ganzen Welt. Von Beholder unterscheidet sich Beholder 3 dadurch, dass ein der Perestroika nicht unähnlicher Systemfrühling angebrochen ist, in dem sich die Hardliner, die Reformer und die Revolutionäre gegenüber stehen und alle wissen, was das beste für die Größte Union und ihre Bewohner*innen ist.
Ich liebte Beholder, mochte Beholder 2 und freute mich daher königlich über die Anfrage von Jörg Friedrich, an Beholder 3 mitzuarbeiten. Mir war wichtig, die Situation von Frauen in einem totalitären Staat zu beschreiben und eine lesbische Storyline einzuweben, die für die Entscheidung der Spieler im Verlauf sehr relevant werden würde. Alawar stimmte dem zu, was ich für ein russisches Studio im 2020 gegebenen Klima erfreulich fand.
Kim Schwarz, unsere Tochter, hat noch nie so in die Gesellschaft gepasst. Auch Frank weiß anfangs nicht, dass sie einen sogenannte „Nonkonforme“ ist, eine Verklausulierung für Menschen, die bei homosexuellem Verhalten erwischt werden. Über den Verlauf des Spiels muss man sich als Frank Schwarz dann entscheiden, ob man seine Karriere im System über das Wohl seiner Lieblingstochter Kim stellt.
Frank Schwarz und seine Tochter Kim mit ihrem neuen Haustier, einer Ratte.
Was am Anfang nach einem gemeinsamen Plan für mehr Sichtbarkeit von LGBTIQ+ aussah, entwickelte sich dann mit dem Krieg Russland gegen die Ukraine zum Nervenspiel. Plötzlich musste ich mir Gedanken darüber machen, ob meine lesbische Storyline wichtig genug ist, dass andere Menschen in Russland dafür vielleicht ins Gefängnis gehen müssen.
Und auch auf wirtschaftlicher Seite wurde es noch ein Veröffentlichungsthriller: Beholder 3 sollte am 3.3.2022 auf Steam erscheinen. Am 2.3. schloss Steam den russischen Markt (verständlicherweise), um mit den Sanktionen des Westens gegen Russland auch hier die Geldströme zu unterbrechen. Für Beholder 3 fiel damit ein Drittel des angestammten Marktes weg, wie Jörg Friedrich in diesem Interview des Deutschlandfunks angibt. Und wir wussten nicht, ob es Alawar noch lange geben würde, wenn diese ihre Angestellten nicht bezahlen können.
All das ist ein kleines Opfer in einem großen, schrecklichen Kriegsgeschehen – und spielt natürlich im Vergleich zu den Menschenleben und Existenzen, die gerade in der Ukraine von den Bomben vernichtet werden, keine große Rolle.
Das Beispiel Alawar und Beholder 3 zeigt aber auch, dass die Sanktionen auch fortschrittliche, offene Kulturschaffende betreffen, die mit ihren Werken auf dem russischen Markt etwas bewirken könnten. Und sei es die Empathie mit dem Leid einer jungen lesbischen Frau in der Größten Union aufzubringen, die einfach nur versucht, sie selbst zu sein und ihr Leben zu leben, und am System zerschellt.
Seit Ende 2020 arbeite ich mit dem Team von Paintbucket Games an einem neuen Spiel. Beholder 3 spielt im Beholder-Franchise des russischen Publishers Alawar. Ich habe auf meinem Patreon schon ein, zwei Einblicke an Patrons dazu gegeben und schreibe demnächst auch noch etwas um den Übergang von NPC-Konzept zu Art-Umsetzung.
Seit Gestern ist der Playtest von #Beholder3 geöffnet. Dazu meldet man sich auf dem Discord-Server von Alawar an und kann dort im Zweifel auch dem Devteam ganz direkt Fragen stellen!
Seit heute gibt es auch schon den ersten Fantrailer, der eines der tragischsten Micronarrative des Games mit abbildet. Ich bin sehr gespannt auf das Feedback und freue mich darauf, es einzuarbeiten!
Obwohl im Umzug begriffen, hat mich Stephan Reichart, der Managing Director der Devcom-Konferenz, in seinen Podcast #Bissfest eingeladen.
Eigentlich wollten wir über Essen reden, da Stephans Leben sich stark um Kochen, das Essen und das Genießen dreht. Das gelang nur so halb.
Stattdessen sprachen wir über meine Anfänge und die ersten Romane, über schwule und bisexuelle Charaktere in Fantasy, darüber, warum George RR Martin sich in den Plotsträngen von Game of Thrones total vergaloppiert hat, über das Leidenlassen von seinen Figuren und viel, viel mehr.
Eigentlich höre ich mir selbst ungern zu, aber dieser Podcast ist hochvergnüglich geworden.
Stephan streamt auch viel und gern auf Twitch, manchmal über Games, sehr oft über das Kochen.
Immer wieder fragen mich kulturell interessierte Menschen, wie man einen sanften Einstieg in das Spielen von Videospielen empfehlen könnte; und oft folgt dann ein „aber bitte, ohne Menschen totschießen zu müssen.“ Es ist mir ein Ansporn aufzuzeigen, dass Computerspiele sich längst jenseits der Kinder- und Killerspiele entwickelt haben und eine große Bandbreite wie andere Formate (Literatur, Filme, Serien) besitzen.
In dem Interview, das Axel Weidemann mit mir am 13.07. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung machte, habe ich schon ein, zwei Empfehlungen über Computerspiele und ihre kulturelle Bedeutung, aber auch ihren Spaßfaktor und meine Erwartungen an sie ausgesprochen. Und im „Games & Kaffee“-Format auf dem Twitch-Kanal der Devcom Conference sprechen Stephan Reichart und seine Gäste, zu denen ich mich ebenfalls zählen durfte, Dienstags und Donnerstags auch viel über Spiele, die für Einsteiger*innen geeignet sind.
Da das Interview aus einem dreistündigen Gespräch auf einer Zeitungsseite Platz haben musste, konnte naturgemäß nicht alles Erwähnung finden, über das wir sprachen. Daher möchte ich hier im folgenden einige Spieleempfehlungen für Interessierte geben, die ich auch kulturell wertvoll finde.
Kurz vorweg: es empfiehlt sich, ein kostenloses Konto bei der Spieleplattform Steam. Steam ist die Kauf- und Downloadplattform für Spiele schlechthin; alle Spiele, die ich hier empfehle, lassen sich darüber erstehen (entweder per Kreditkarte, Abbuchung oder Paypal). Alle Spiele lassen sich auf dem PC installieren und mit Maus und Tastatur spielen (es sei denn, ich benenne in der Beschreibung eine andere Plattform).
Diese Liste erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll nicht implizieren, dass andere Spiele nicht kulturell bedeutsam sind. Diese finde ich nur besonders einsteigerfreundlich und gesellschaftsrelevant.
Die vier Spiele, die ich in diesem Beitrag vorstellen möchte, sind Dear Esther, Sea of Solitude, Orwell und Through the Darkest of Times.
Dear Esther
Dear Esther Landmark Edition, The Chinese Room
„Dear Esther“ ist ein Walking Simulator des britischen Studios The Chinese Room und sowohl für iOs wie PC erhältlich. Das Spiel eignet sich hervorragend für den Einstieg, wenn man noch gar keine Erfahrung mit Computerspielen hat. Gute Englischkenntnisse sind allerdings erforderlich.
In dem Spiel erforscht man eine Insel und die Spuren vorheriger Bewohner*innen, während ein Mann an Dramatik gewinnende Briefe an die titelgebende Esther vorliest. Die Grafik wurde in einem Update (The Landmark Edition) überarbeitet, die Atmosphäre ist atemberaubend. Das Tempo, in dem man spielt, kann man sich selbst wählen, es besteht kein Zeit- oder Handlungsdruck.
Die Anforderung an Spielende besteht aus Gehen, Zuhören und Schauen. Die literarische Faszination besteht aus der Wechselwirkung zwischen den vorgelesenen Briefen und den Spuren der Bewohnung auf der Insel; man stellt sie ständig in einen Kontext, ohne je so ganz aufschlüsseln zu können, wer man ist oder wie man in Beziehung zum Vorleser, zu Esther oder den in den Briefen erwähnten Personen steht.
Man sollte das Spiel in einem Rutsch durchspielen; das ist in gut zwei Stunden möglich, je nachdem, wieviel Zeit man sich lässt. Ich spreche eine leichte Melancholie-Warnung für das Finale aus.
Sea of Solitude
Sea of Solitude, Jo-Mei Games
Mit Sea of Solitude verarbeitete das deutsche Studio Jo-Mei Games, geführt von Cornelia Geppert, eine persönliche Depressionserfahrung auf eindrucksvolle Weise. Herausgekommen ist ein Spiel über die düsteren Teile der eigenen Seele, das Bewältigen von psychischen Blockaden und Problemen, und die Aussicht, dass es in jeder Lebenslage Hoffnung gibt.
Seit dem Release des Spiels fand Cornelia in Electronic Arts einen internationalen Publisher, erhielt mehrere Preise für das Spiel, wurde in New York zu einem TED-Salon-Talk eingeladen und erhielt Deutschlandweit Anerkennung für ein Spiel, das nicht ganz ein sogenanntes „Serious Game“ ist, aber auch mehr als Unterhaltung.
Das Spiel richtet sich von der Steuerung her nicht an vollständige Neuanfänger, die Bedienung lernt sich aber schnell und ist nicht anspruchsvoll.
Sea of Solitude, Jo-Mei Games
Orwell
Orwell, Osmotic Studios
Auch „Orwell“ ist ein ruhiges Spiel, in dem man das Tempo selbst bestimmen kann. Thema ist hier Überwachung, frei nach George Orwell, der das prägende Buch „1984“ zu dem Thema geschrieben hat. Das Entwicklerstudio Osmotic sitzt in Hamburg.
In „Orwell“ sitzt man als Angestellte*r eines diktatorischen Staates hinter seinem Rechner und überwacht Menschen und ihre Kommunikation. Internet-Beiträge, SMS, Telefonanrufe, e-Mails, Homepages und private Akten – alles steht einem früher oder später zur Verfügung.
Ziel des Spiels ist es, die Terrorgefahr von Systemfeinden einzuschätzen. Man kann Abschnitte und Aussagen in die Akte der betroffenen Personen ziehen, man kann Netzwerke von Menschen erstellen, die möglicherweise eine Terrorzelle bilden, und Telefone überwachen lassen. Wird eine tatsächliche Terrorgefahr in die Akte einer Person eingetragen, rückt die Polizei aus und verhaftet die betroffene Person. Und dann stellt sich heraus, ob man Recht damit hatte oder gerade eine*n Unschuldige*n radikalisiert hat.
„Orwell“ ist ein Spiel, dass mir nach einem Literaturstudium und 25 Jahren Autorenschaft noch etwas Neues über die (Un-)Möglichkeit beigebracht hat, die tatsächliche Aussage (im Internet) geschriebenen Texts ohne Kontext bewerten zu können. Im Kontext der Datensicherheit und staatlichen Überwachung eignet es sich meine Erachtens für den Oberstufenunterricht.
Through the Darkest of Times
Through the Darkest of Times, Paintbucket Games
Lange fielen Computerspiele in Deutschland nicht unter die sogenannte Sozialadäquanzklausel, mit der Kunst und Kultur verfassungsfeindliche Symbole wie Hakenkreuze zeigen darf. Das hat sich geändert, und das Spiel „Through the Darkest of Times“ des Berliner Studios Paintbucket Games beweist eindrucksvoll als erstes deutsches Spiel, warum das eine gute Entwicklung ist.
Man leitet im Berlin der Zwanziger und Dreißiger Jahre eine Widerstandszelle gegen den Nationalsozialismus. In einer Mischung aus strategischem Ressourcenmanagement und historischem Geschichtskontext versucht man, seine persönliche kleine Résistance in Berlin zu einem Sieg zu führen, wohlwissend, dass dieses Ziel mit der Machtübernahme in immer weitere Ferner rückt.
Trotz ausreichender Handlungsoptionen erlebt man die Beklemmung jener Zeit, die sich immer weiter einengenden Spielräume der Menschen, das Überhandnehmen der Nazis und ihrer Ideologie am eigenen Leibe. Die darüberliegende historische Handlung bietet weitere Erkenntnisse: Man erlebt den Reichstagsbrand, steht neben Erich Kästner, während seine Bücher verbrannt werden.
Wer an der Schule das Thema Nationalsozialismus – auch im Lichte der aktuellen Diskursverschiebung ins Rechtsradikale – aus einem neuen Blickwinkel lehren möchte, sollte sich dieses Spiel zu Gemüte führen.
Through the Darkest of Times, Paintbucket Games
Im nächsten Blogbeitrag …
… stelle ich weitere einsteigerfreundliche Computerspiele vor, die sich (meistens) am PC spielen lassen.
Darunter sind „Beholder“, „This War of Mine“ und „The Last of Us“ 1 & 2.
Welche Spiele gehören für euch auf die Liste der Empfehlungen für Einsteiger, die sich kulturell mit Spielen auseinandersetzen wollen? Schreibt es mir in die Kommentare!
Das Team rund um Valentina Hirsch wollte sehr gern eine Frau zu dem Thema vor die Kamera holen, was mich erfreut. Gamerinnen werden ja gern übersehen. Und so sprachen wir also über die klassischen Themen: Corona, Entwicklung der Spielenutzung, Realitätsflucht. An den Themen kommt man auch nach vielen, vielen Jahren offenbar nicht vorbei. Ich freue mich darüber, dass das Team so offen für die Thematik ist und möchte hier keine Beschwerde gegen das ZDF oder das Aspekte-Team erheben, sondern genereller Fragen: warum reden wir darüber noch?
Dabei kommen mir vieles davon so überholt vor. Realitätsflucht kann man nur für ein Problem halten, wenn man gebildeter Gutverdiener in festem Arbeitsverhältnis ist. Wer diesen Luxus nicht besitzt und nicht zweimal im Jahr nach Australien in Urlaub fahren kann, sucht sich den Abstand zum anstrengenden Alltag anders. Zum Beispiel mit zwei Stunden Tennisspiel. Mit dem Bingen von Netflix-Serien. Mit dem Lesen eines packenden Buches. Oder eben mit Computerspielen.
Abschalten, einen Mikro-Urlaub für das Gehirn zu erhalten, spielt eine wichtige Funktion in unserem Leben, ganz besonders in der der Coronakrise. Wir können nicht immer wach sein, nicht immer kämpfen, nicht immer ernst bleiben. Spaß spielt im Leben eine wichtige Rolle, besonders bei Erholung. Stressbewältigung ohne Sport, ohne Gesellschaft, ohne Parties und ohne Urlaub? Unter Druck muss jede Person ihre eigene Bewältigungsstrategie finden. Für manche – vielleicht sogar für viele – lautet diese „Computerspiele“. Und das ist legitim.
Auch über Computerspielesucht habe ich im Interview gesprochen. Ich weise darauf hin – was uns allen selbstverständlich ist – dass Computerspiele per se nicht süchtig machen. Dass die psychosozialen Rahmenbedingungen Hauptverursacher für die Betäubung durch ein Suchtmittel sind, und die Unfähigkeit, andere Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Dass der tatsächliche Prozentsatz von echt Computerspielesüchtigen im niedrigen einstelligen Bereich liegt (hierzu ein gutes Interview mit dem Medienpsychologen Leonard Reinecke).
Ein Bild beim Drehort, damit ihr weiterlest.
Die Öffentlichkeit scheint Spiele (interessanterweise hauptsächlich digitale) immer noch zu problematisieren. Wenn eine Studie des DAK warnt, es wären während des „Lockdowns“ signifikant mehr Computerspiele gespielt worden, bei Jugendlichen in den ersten Coronamonaten 2020 um bis zu 75%, dann frage ich zuerst: Ja und? Und dann: Ja und welche? Und abschließend: Was hätten sie sonst tun sollen? Lieber Feiern gehen?
Computerspiele sind inzwischen beinahe so divers wie geschriebene Literatur, wie die Spiele „The Last of Us“ und „The Last of Us 2“ von Sony beweisen. Nicht alle Spieler*innen spielen Doom oder Counterstrike. Und selbst wenn, bedeutet das nicht, dass all diese Menschen automatisch süchtig werden, oder rechtsradikale Mörder.
Ich werde demnächst eine Liste von hochinteressanten und wie ich finde gesellschaftskritisch wertvollen Computerspielen anfertigen und hier posten. Ich bin gespannt, was ihr zu meiner Auswahl sagt.
… oder wie es kam, dass mir ein Gorilla Tweets vorlas, die ich nicht hören wollte.
Die Frankfurter Buchmesse 2020 findet digital statt. Das Angebot an voraufgezeichneten Runden ist groß (wenn auch verschwindend gering, wenn man auf die Veranstaltungen zurückschaut, die auf den Live-Messen in den letzten Jahren angeboten worden sind). Das ist bedauerlich, aber im Angesicht der wieder anziehenden Pandemie in Deutschland unausweichlich.
Bereits im August fuhr ich nach Frankfurt, um eine von 10 Gesprächsrunden auf dem Weltempfang der Frankfurter Buchmesse, „Wie wir miteinander reden wollen„, aufzuzeichnen – damals noch bei über 30°C schwitzend. Auch wenn „Cancel Culture“ eines der Schlagworte ist, handelt diese Runde mehr davon, wie wir in einer Demokratie, die ja auf dem Mehrheitsprinzip fußt, Minderheiten und ihre Vertreter*innen in den Diskurs einbinden wollen.
Neben dem großartigen Moderator Tarik Tesfu sprachen darüber Tom Hillenbrand (Drohnenland, Hologrammatica), Anne Wernicke (Giga Games und Insert Moin Podcasts) sowie der Gorilla Herr Kaschke. Der allerdings eher die fiesen Tweets mancher Nutzer zum besten gab, das allerdings mit viel Körpersprache.
In der Diskussionsrunde haben wir viel über das Sony-Computerspiel The Last of Us II gesprochen, in dem es die Hauptfigur lesbisch ist (was nur am Rande ein Thema für die Erzählung ist) sowie einen weiteren Charakter, Lev, der ein Transmann ist.
Der zweite Teil der Diskussion handelte von Tom Hillenbrands „Hologrammatica“ sowie dem Selbstverständnis der Literatur, Geschichten zu erzählen, die im Computerspielebereich bei der Kernspielerschaft manchmal noch eher anecken.
Ich persönlich halte ja The Last of Us II für ein erzählerisches Meisterwerk und wundere mich, wenn Menschen daran anstoß nehmen, welche Geschlechtsidentität eine Figur hat. Für mich zählen die erzählerische Tiefe und die Resonanz, die die Geschichte bei mir hinterlässt.
Aber Signals of Hope lässt mich im wahrsten Sinn mit einem Zeichen der Hoffnung zurück, dass die Gesellschaft insgesamt weiter ist als die Menschen, die nicht über ihren eigenen Schatten springen können.
Und mich lässt das Format glücklich darüber zurück, dass ich inzwischen auf der weltgrößten Buchmesse nicht nur über Literatur, die zwischen zwei Buchdeckel gedruckt wurde, sprechen darf, sondern auch über jene, die man online spielen kann.
Diese Aussage kann man eigentlich pauschal für sich stehen lassen, denn sie gilt beinahe immer. Besonders aber gilt sie für lange Wochenenden wie Ostern, die man hervorragend für Veranstaltungen, Besuche bei Freund*innen oder Verwandten nutzen kann.
Dieses Jahr bin ich zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit Ostern wieder zuhause. Nicht in Hannover bei Freunden und Kommilitonen zum Osterbrunch. Nicht bei meiner Familie in Celle. Nicht bei seiner Familie in Siegen.
Die durch Corona erzwungene Zeit zuhause macht mich langsam unruhig. Sonst benötige ich einen Tapetenwechsel mindestens alle drei Wochenenden; nun bricht seit dem Kontakt- und Reiseverbot Woche fünf an, ohne, dass ich unterwegs bin.
Wohin auch? Sämtliche Veranstaltungen, an denen ich teilnehmen könnte, sind bis auf Wochen abgesagt. Termine, bei denen es bis vor wenigen Wochen noch undenkbar gewesen wäre zu fehlen (nicht, weil sie wirtschaftlich notwendig wären, sondern weil man sich selbst diese Auflagen auferlegt), finden einfach nicht statt.
Das Undenkbare wird denkbar, einfach so.
Mir hilft gegen die Rastlosigkeit tatsächlich, dass all diese Termine einfach gar nicht stattfinden. Die unbequeme Wahrheit dahinter ist das sogenannte FOMO-Syndrom – „fear of missing out“. Und die Erkenntnis, dass viele der Treffen nun via Skype und Zoom stattfinden. Das spart mir rund 200-300 Euro im Monat an Fahrtkosten, die der Deutschen Bahn nun fehlen.
Und ich ertappe mich des öfteren bei dem Gedanken, dass wir mehr darüber reflektieren müssen, was für uns denkbar ist und was nicht. Wir haben es selbst in der Hand.