Archiv für den Monat: April 2020

Das Undenkbare wird denkbar

Sonst bin ich unterwegs.

Diese Aussage kann man eigentlich pauschal für sich stehen lassen, denn sie gilt beinahe immer. Besonders aber gilt sie für lange Wochenenden wie Ostern, die man hervorragend für Veranstaltungen, Besuche bei Freund*innen oder Verwandten nutzen kann.

Dieses Jahr bin ich zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit Ostern wieder zuhause. Nicht in Hannover bei Freunden und Kommilitonen zum Osterbrunch. Nicht bei meiner Familie in Celle. Nicht bei seiner Familie in Siegen.

Die durch Corona erzwungene Zeit zuhause macht mich langsam unruhig. Sonst benötige ich einen Tapetenwechsel mindestens alle drei Wochenenden; nun bricht seit dem Kontakt- und Reiseverbot Woche fünf an, ohne, dass ich unterwegs bin.

Wohin auch? Sämtliche Veranstaltungen, an denen ich teilnehmen könnte, sind bis auf Wochen abgesagt. Termine, bei denen es bis vor wenigen Wochen noch undenkbar gewesen wäre zu fehlen (nicht, weil sie wirtschaftlich notwendig wären, sondern weil man sich selbst diese Auflagen auferlegt), finden einfach nicht statt.

Das Undenkbare wird denkbar, einfach so.

Mir hilft gegen die Rastlosigkeit tatsächlich, dass all diese Termine einfach gar nicht stattfinden. Die unbequeme Wahrheit dahinter ist das sogenannte FOMO-Syndrom – „fear of missing out“. Und die Erkenntnis, dass viele der Treffen nun via Skype und Zoom stattfinden. Das spart mir rund 200-300 Euro im Monat an Fahrtkosten, die der Deutschen Bahn nun fehlen.

Und ich ertappe mich des öfteren bei dem Gedanken, dass wir mehr darüber reflektieren müssen, was für uns denkbar ist und was nicht. Wir haben es selbst in der Hand.

So lernt man aus der Krise.

Der fatale Egoismus der Menschen

Die Hilfen für Soloselbständige und kleine Firmen sind da. Ernüchterung tritt auch hier ein. In vielen Bundesländern außer z.B. Hamburg und Berlin fallen Soloselbständige durchs Raster. Viele Länder gestatten die Beantragung der Unterstützung nicht für Einkommensausfälle, sondern nur für Betriebskosten wie Personal, Ladenmieten etc. Künstler*innen müssen also hartzen gehen, wenn sie die Miete nicht mehr bezahlen können.

Die Nachricht eines Bekannten ist niederschmetternd: offenbar empfehlen Steuerberater*innen ihren Kund*innen jetzt, die Hilfen auch dann für künstlerische Nebentätigkeiten zu beantragen, wenn sie das Geld nicht fürs Überleben benötigen.

Da draußen kämpfen Schriftsteller*innen, Verlagsleiter*innen kleiner inhabergeführter Verlage, Buchändler*innen ums Überleben, und gut abgesicherte Normalverdiener*innen ohne Gefährdung beantragen Hilfsgelder aus dem Notfallfonds? Ein bisschen Solidarität in Zeiten der größten finanziellen Krise seit dem zweiten Weltkrieg wäre zu wünschen. 

Durch diese Krise kommen wir bei allem Egoismus nicht allein, sondern nur gemeinsam. Wer da das finanzielle Pölsterchen auf dem Konto noch ein bisschen aufstockt, während andere Menschen nicht wissen, wie sie ihre Miete zahlen sollen, gehört in eine ganz besondere Hölle.

Die Länder verändern beständig die Bedingungen, zu denen beantragt worden ist. Hier ist angeraten, dass man zum Zeitpunkt des Antrags die Bedingungen per Screenshot dokumentiert und speichert, um später nachweisen zu können, was man unterschrieben hat.

Doch eine Nachbesserung für Freie und Soloselbständige Autor*innen ist unabdingbar, mit dem VS fordern wir das bereits.

Die Landesvorsitzende des VS NRW, Sabine Lipan, drückt das in ihrem Protestbrief sehr treffend aus: „auf unseren Schultern stehen 9,18 Milliarden Euro Umsatz im Jahr im Buchbetrieb; 80.000 Kernbeschäftigte in der Buchbranche sind angestellt, weil wir frei und oft für Cent-Beträge an Beteiligung pro Buch das herstellen, was sie anschließend verarbeiten und verkaufen; auf freien Kulturschaffenden insgesamt ohne Betriebskosten stehen 100,5 Milliarden Bruttowertschöpfung„.

Besser kann man kaum formulieren, dass die Unterstützung von Bund und Ländern hier gerade an einer Berufsgruppe vorbeigeht, die den Motor der deutschen Buchindustrie darstellt.