Archiv für den Monat: März 2012

Schreibhandwerk: Szenisches vs. auktoriales Erzählen

Ich lese gerade den Hobbit von J.R.R. Tolkien. Ich liebe die Verfilmungen von Peter Jackson und freue mich sehr auf den 14. Dezember. Da ich den Hobbit aber seit sicher zwanzig Jahren nicht mehr gelesen habe, möchte ich noch einmal „unbelastet“ erleben, bevor sich die filmische Umsetzung unweigerlich vor mein inneres Auge schieben wird.

Über den Hobbit kann man sicherlich streiten. Das Buch gehört zu jenen, die mich in meiner Jugend sehr geprägt haben und ich genieße die neuerliche Lektüre sehr. Ich finde das Werk allerdings weniger gelungen als den Herrn der Ringe. Das liegt sicher hauptsächlich an dem Kinderbuch-Tonfall, dessen sich zumindest die deutsche Übersetzung bedient (den Herrn der Ringe lese ich eigentlich nur auf Englisch, aber den Hobbit momentan nicht). Dazu kommen manche Szenen, die geradezu märchenhaft anmuten – wenn in Beorns Hütte die Ponys und Ziegen den Tisch decken und Hunde, auf den Hinterbeinen laufend, Schüsseln mit den Vorderpfoten balancieren, dann hat das mit Phantastik, so wie ich sie lesen möchte, nicht mehr viel zu tun. (Und ich glaube, dass Peter Jackson diese Szene im Film zumindest entschlacken wenn nicht gar weglassen wird.)

Was mir bei Tolkiens beinahe lyrischem Erzählstil (in der Übersetzung) aufgefallen ist, ist die Präsentation der Szenen. Er benutzt im Hobbit den auktorialen Ezählstil, der heute in seiner Reinform mit der epischen Distanz, die er erweckt, beinahe ausgestorben ist. Ein Beispiel:

„Genau in der Mitte des Kreises lag ein mächtiger Grauwolf. Er sprach zu [den anderen Wölfen] in der furchtbaren Sprache der Warge. Gandalf verstand sie. Bilbo verstand nichts, aber es schauderte ihn, denn es klang, als ob es sich um nichts als tückische Grausamkeit handelte – was es in Wirklichkeit ja auch war.“ (Tolkien, Der Hobbit, S. 121, Georg-Bitter-Verlag 1971. Übersetzt von Walter Scherf.)

Nicht nur kann Tolkien mit der Außenperspektive sowohl in Gandalfs wie auch Bilbos Gedankenwelt schlüpfen, er kann auch eigene Schlüsse daraus ziehen. Der Tonfall wirkt allerdings belehrend und nimmt oft die Spannung vorweg. Auf der anderen Seite sind Vorgriffe auf noch nicht Geschehenes möglich. „Ich wünschte, ich wäre zu Hause in meiner hübschen Höhle beim Kaminfeuer […]! Es war nicht das letzte Mal, daß er sich das wünschte.“ (Tolkien, S. 42.)

Heute wird in der Verlagswelt der szenische Erzählstil des personalen Erzählers bevorzugt. Dieser leitet sich stark von Film und Fernsehen ab und beteilligt den Leser unmittelbar am Geschehen. Ein Beispiel aus „Heat Wave“ dem Roman der TV-Kunstfigur Richard Castle:

„Die Hitze, die ihr entgegenschlug, hätte sie beinahe wieder zurück in den Wagen taumeln lassen. Draußen herrschten fast vierzig Grad. New York war ein Schmelzofen, und der weiche Asphalt auf der Siebenundsiebzigsten Straße West gab unter ihren Füßen nach, wodurch es sich so anfühlte, als liefe sie auf Sand.“ (Richard Castle, Heat Wave S. 1. Cross Cult, Leseprobe auf Serienjunkies.de)

Dieser Erzählstil hat auch seine Nachteile, denn sich auf eine Perspektive zu beschränken wirkt manchmal eintönig. Daher wird auf die Multiperspektive zurückgegriffen, in der man zwischen verschiedenen personalen Erzählern wechselt. Außerdem kann es leicht sein, dass man zu nah an das Geschehen geht, indem man zu lange in der Szene verweilt. Ein Fehler, den ich mir auch oft aus den Korrekturfahnen streichen muss. :)

Der personale Erzählstil gilt nach meinen Erfahrungen heutzutage als Nonplusultra, nähert er sich doch unserem Fernseh-Erlebnis so weit wie möglich an. Ich habe in „Justifiers 2 – Undercover“ die Ich-Perspektive gewählt, auch um mit vorhandenen Traditionen zu brechen. Auch hier ist eine szenische Unmittelbarkeit möglich, die sogar noch näher ans Geschehen herangeht als in der personalen Perspektive. Doch in der gespalteten Persönlichkeit zwischen berichtendem und erlebendem Erzähler muss diese Unmittelbarkeit eine Illusion bleiben – mit der man dann natürlich auch wieder spielen kann.

Gibt es gelungene moderne Beispiele für einen starken auktorialen Erzähler? Ich bin versucht, ihn in seiner Reinform der Vergangenheit zuzuordnen. Aber wer weiß, vielleicht erlebt er ja eine Renaissance.