Archiv für den Monat: März 2022

Polit-Satire „Beholder 3“ im Spannungfeld des Kriegs

Beholder 3 von @Paintbucket Games

Spiele zu entwickeln ist ein komplexer Prozess. Ich darf verkünden: Beholder 3 ist erschienen, und es macht sich sowohl im Verkauf wie auch in der kritischen Presse sehr gut. Dabei geriet das Spiel kurz vor Veröffentlichung in die Finanzfronten des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine.

Im Oktober 2020 begann für mich die Arbeit mit dem berliner Gamingstudio Paintbucket Games an „Beholder 3“. Am 3.3. 2022 erschien das Spiel nach 17 Monaten Entwicklung. Der Publisher, Alawar, ist ein russisches Unternehmen, das bereits Beholder und Beholder 2 von russischen Studios hat anfertigen lassen. Über Through the Darkest of Times ist Alawar dann auf Paintbucket Games aufmerksam geworden. Und Paintbucket bat mich, Narrative Director des Spiels zu sein.

In Beholder 3 spielen wir Frank Schwarz, einen zum Hausmeister einer staatlichen Liegenschaft degradierten Beamten des Heimatschutzministeriums. Sein Auftrag: seine Nachbarn zu überwachen. Wir bespitzeln, beobachten, denunzieren und kompromittieren die Menschen um uns herum, um in einem System zu überleben, das keine menschlichen Züge mehr trägt. Überwacht werden wir von der allmächtigen Lotte Altmann, ihres Zeichens Chefin des Ministeriums.

Lotte Altmann, Chefin des Ministeriums

Die „Größte Union“ und der „Große Anführer“ sind dabei auf die satirische Spitze getriebene Stellvertreter für totalitäre Systeme auf der ganzen Welt. Von Beholder unterscheidet sich Beholder 3 dadurch, dass ein der Perestroika nicht unähnlicher Systemfrühling angebrochen ist, in dem sich die Hardliner, die Reformer und die Revolutionäre gegenüber stehen und alle wissen, was das beste für die Größte Union und ihre Bewohner*innen ist.

Ich liebte Beholder, mochte Beholder 2 und freute mich daher königlich über die Anfrage von Jörg Friedrich, an Beholder 3 mitzuarbeiten. Mir war wichtig, die Situation von Frauen in einem totalitären Staat zu beschreiben und eine lesbische Storyline einzuweben, die für die Entscheidung der Spieler im Verlauf sehr relevant werden würde. Alawar stimmte dem zu, was ich für ein russisches Studio im 2020 gegebenen Klima erfreulich fand.

Kim Schwarz, unsere Tochter, hat noch nie so in die Gesellschaft gepasst. Auch Frank weiß anfangs nicht, dass sie einen sogenannte „Nonkonforme“ ist, eine Verklausulierung für Menschen, die bei homosexuellem Verhalten erwischt werden. Über den Verlauf des Spiels muss man sich als Frank Schwarz dann entscheiden, ob man seine Karriere im System über das Wohl seiner Lieblingstochter Kim stellt.

Frank Schwarz und seine Tochter Kim mit ihrem neuen Haustier, einer Ratte.

Was am Anfang nach einem gemeinsamen Plan für mehr Sichtbarkeit von LGBTIQ+ aussah, entwickelte sich dann mit dem Krieg Russland gegen die Ukraine zum Nervenspiel. Plötzlich musste ich mir Gedanken darüber machen, ob meine lesbische Storyline wichtig genug ist, dass andere Menschen in Russland dafür vielleicht ins Gefängnis gehen müssen.

Und auch auf wirtschaftlicher Seite wurde es noch ein Veröffentlichungsthriller: Beholder 3 sollte am 3.3.2022 auf Steam erscheinen. Am 2.3. schloss Steam den russischen Markt (verständlicherweise), um mit den Sanktionen des Westens gegen Russland auch hier die Geldströme zu unterbrechen. Für Beholder 3 fiel damit ein Drittel des angestammten Marktes weg, wie Jörg Friedrich in diesem Interview des Deutschlandfunks angibt. Und wir wussten nicht, ob es Alawar noch lange geben würde, wenn diese ihre Angestellten nicht bezahlen können.

All das ist ein kleines Opfer in einem großen, schrecklichen Kriegsgeschehen – und spielt natürlich im Vergleich zu den Menschenleben und Existenzen, die gerade in der Ukraine von den Bomben vernichtet werden, keine große Rolle.

Das Beispiel Alawar und Beholder 3 zeigt aber auch, dass die Sanktionen auch fortschrittliche, offene Kulturschaffende betreffen, die mit ihren Werken auf dem russischen Markt etwas bewirken könnten. Und sei es die Empathie mit dem Leid einer jungen lesbischen Frau in der Größten Union aufzubringen, die einfach nur versucht, sie selbst zu sein und ihr Leben zu leben, und am System zerschellt.

Beholder 3

In den Jahren 2020 bis 2022 war ich Narrative Director für das Spiel Beholder 3. Es wurde vom Indie-Studio Paintbucket Games (Publisher: Alawar) entwickelt.

Beholder 3 ist eine schwarze Satire zum Thema Totalitärer Staat. Für mich thematisiert das Spiel immer die Frage, ob man in einem unmenschlichen System menschlich bleiben kann.

Beholder 3 erhielt zwei Deutsche Entwicklerpreise 2022 (Beste Story, bestes Game Beyond Entertainment) und einen Deutschen Computerspielepreis 2023 (Bestes Serious Game).

Beholder 3 auf Steam.

Willkommen in der Großen Union!

Ein totalitärer Staat, der alles und jeden kontrolliert. Beseitige als Regierungsspion diejenigen, die den geheimen Plänen deiner Vorgesetzten im Weg stehen, und spioniere Mietende, Kollegschaft und Vorgesetzte gleichermaßen aus.

Überwache deinen Wohnblock

Du bist Frank Schwarz, ein Ehemann, Vater – und ein als Vermieter getarnter Spitzel der Regierung, der die Befehle seiner Chefin befolgt. Breche in die Wohnungen deiner Mietparteien ein, suche nach illegalen Sachen und werde alle los, die deine Vorgesetzte aus dem Weg räumen will.

Erstatte dem Großen Anführer Bericht

Bahne dir deinen Weg zurück ins Ministerium, spioniere und intrigiere gegen Kollegschaft und Vorgesetzte und arbeite dich die Karriereleiter hoch. Verschiedene Fraktionen wetteifern insgeheim um die Macht im Ministerium und im Land. Spiele sie zu deinem Vorteil gegeneinander aus.

Beseitige alle, die deinen Zielen im Weg stehen

Kannst du dein altes Leben zurückgewinnen oder dir ein noch besseres aufbauen? Wirst du für Veränderung und Wahrheit kämpfen oder dafür, dass alles so bleibt, wie es ist? Wen bist du bereit zu opfern, um das zu bekommen, was du willst?