Vermutlich sind Sie, liebe Leserin, lieber Leser, politischer als ich. Ich habe einen Überblick über die Tagesmeldungen im In- und Ausland, gehe aber nur selten in die Tiefe, denn eigentlich bin ich kein politischer Mensch. Ich bin Schriftstellerin, ich unterhalte Menschen.
Deshalb hätte ich nicht gedacht, dass ich auf diesem Blog hier, auf dem es sonst um Romane, Geschichten und Schreiben geht, einmal einen politischen Beitrag einstelle. Politik hat eigentlich nichts mit meiner Arbeit zu tun. Deshalb dachte ich bislang, dass sie hier nicht hergehört.
Heute aber ist der Tag gekommen, an dem ich so wütend bin, dass ich nicht anders kann: Ich schreibe einen politischen Beitrag. Ich halte es sogar für meine Bürgerpflicht, mich zu empören, wie Davaidavai hier deutlich macht.
Neuland Internet?
Für mich ist das Internet Alltag, wie wohl für jeden, der seine Zeit im Büro oder sonstwo Zeit vor dem Computer verbringt. Ich bin kein Tech-Nerd, ich schätze die Kommunikation, die mir Computer und Handy erlauben. (Das Internet ist eben kein Neuland für uns, das kann nur jemand sagen, der seine Kommunikation der Sekretärin diktiert und SMS für modern hält.)
Ich (wie vermutlich die meisten meiner Leserinnen und Leser auch) bewege mich selbstverständlich im Netz, lese Nachrichten, Filmbeiträge, Klatsch und nutze Twitter, Google+ und Facebook. Mir war klar, dass die Anbieter dieser Dienste wissen, was ich so schreibe. Das habe ich in Kauf genommen, weil Facebook nicht weiß, was ich bei Twitter oder Google+ schreibe und auch nicht meine Emails lesen kann.
Und wenn man das Internet nicht nutzt oder nutzen will, muss man schon in einer Hütte ohne Telefon leben, denn selbst Telefongespräche werden heutzutage längst als Datenpakete über das Internet geleitet, und zwar sowohl vom Handy als auch von den meisten Festnetzanschlüssen.
Facebook, Twitter oder das nächste, vielleicht besser gesicherte Social Web nicht zu benutzen, kommt für mich nicht in Frage. Dem käme gleich, aufzuhören, mit meinen Freunden zu telefonieren, keine Briefe und Mails mehr zu schreiben. Hinzu kommt mein beruflicher Nutzen des Netzes. Über all diese Dienste informiere ich die Menschen, die an meiner Arbeit interessiert sind, bekomme das so wichtige Feedback für meine Arbeit, Lob und Kritik, und gelange an Fakten, die ich sonst nur mühselig oder gar nicht hätte recherchieren können. Das Internet ist heute unersetzbar und nicht mehr wegzudenken aus meiner Arbeit und meinem Privatleben.
Privatsphäre nein Danke?
Und weil die Kommunikation über das Internet so wichtig für mich ist, lege ich viel Wert auf den Schutz meiner Privatsphäre. Ich wäre bereits tödlich verletzt, wenn mein Partner meine Emails ungefragt läse (tut er nicht), doch das wäre nichts verglichen mit der Dreistigkeit, mit der in den letzten Jahren durch Prism und Tempora meine (und Ihre) Privatsphäre verletzt wurde. Diese vollständige Überwachung ist eine so bodenlose Frechheit, dass mir als Schriftstellerin die Worte fehlen.
Meine private Kommunikation muss privat bleiben! Wenn schon Menschen, die mir nahe stehen, meine Mails nicht lesen dürfen, was meinen Sie, wie es mir geht, wenn ich erfahre, dass regelmäßig ausländische Geheimdienstler darin herumschnüffeln? Nicht umsonst ist die private Kommunikation ein Grundrecht des Menschen, das von allen zivilisierten Staaten in der Verfassung anerkannt wird.
Warum ich das schreibe? Weil es hier nicht nur um ein paar Nerds geht, die ein obskures Lebensgefühl im Internet verteidigen. Hier geht es um die Kommunikationsgrundlage der Zukunft, um die Freiheit des Denkens, des Sprechens. Im Zeitalter von Prism und Tempora verkommt der Mensch zum gläsernen Objekt, stets durchleuchtet und dieser sozialen Form der Vergewaltigung hilflos ausgeliefert.
Überraschung: Ich möchte nicht durchleuchtet werden. Ich möchte mich auch nicht hinter Verschlüsselungsprogrammen gegen die Übergriffe unsichtbarer Finger schützen müssen. Das höhnische „Jeder Bürger muss sich selbst um die Verschlüsselung seiner Daten kümmern“, das Innenminister Friedrich nach seinem Aufklärungsbesuch in den USA verlauten ließ, kommt der Anweisung gleich, doch nicht mehr aus dem Haus zu gehen, wenn man Angst vor einem Raubüberfall hat.
Habe ich etwas zu verbergen? Natürlich habe ich etwas zu verbergen. Jeder Mensch hat etwas zu verbergen, sonst könnten wir auf Kleidung verzichten, und das Rezept für ein Mittel gegen Hämorrhoiden oder Fußpilz oder vielleicht den Inhalt unserer Steuererklärung gleich veröffentlichen. Immer noch nichts zu verbergen? Wie wär’s mit einem kleinen Marker, der immer aktuell anzeigt, ob Sie gerade menstruieren? Oder für den männlichen Leser: Die Anzahl der Minuten, die seit der letzten Erektion vergangen sind? Medizinische Daten, die vielleicht Ihren Arbeitgeber davor zurückschrecken lassen, Sie fest einzustellen?
Privatsphäre ist wichtig. Und neben diesen „privaten“ Erwägungen gibt es noch eine weitere: Überwachung macht Angst. Angst verändert das Verhalten der Menschen und damit der Gesellschaft. Überprüfen sie doch mal, wie „normal“ Sie sich verhalten, wenn Sie mit einem uniformierten Polizisten, dem strengen Chef oder der garstigen Schwiegermutter reden – alles Leute, die auch das kleinste Fehlverhalten gegen Sie verwenden können. In solchen Situationen ist man gestresst, nimmt sich in Acht – und sagt im Zweifel lieber etwas Belangloses, statt in ein Fettnäpfchen zu treten. Oder man hält gleich den Mund, aus Angst vor Konsequenzen.
Dauernde Überwachung funktioniert genauso. Wird die Mail aus dem Kontext gerissen? Schaut jemand bei Facebook nach und hält einem vor, dass man betrunken war? Muss man sich fragen, ob der Satz, den man gerne kommunizieren möchte, nicht vielleicht beim Geheimdienst falsch verstanden oder gar als Code gelesen werden könnte?
Das ist keine Freiheit mehr. So was kenne ich nur aus den Filmen über die DDR. In so einem Staat will ich nicht leben müssen.
Der Abwehrkampf unserer Generation
Doch selbst mir als relativ unpolitischem Menschen erscheint es inzwischen so, als tobe mit dem Ringen um unsere Privatsphäre längst der Abwehrkampf unserer Generation.
Und ich erinnere daran, dass Unfreiheit nicht schlagartig kommt. Sie kommt in der Salamitaktik – in kleinen Schritten. So war es in der DDR, so war es im Faschismus des Dritten Reiches. Wer Freiheit wegnimmt, erklärt immer wieder neu, warum dieses kleine bisschen Freiheit (jetzt bestimmt zum letzten Mal) genommen werden muss. Bis es zum Widerstand zu spät ist.
Nun möchte ich weder einen unpassenden Nazivergleich anstimmen noch die Ermordung dieser Minoritäten verharmlosen. Was ich sagen möchte, ist, dass auch im Dritten Reich die Rechte der Menschen nicht von heute auf morgen beschnitten worden sind. Dabei handelte es sich um einen schleichenden Prozess, bei dem jeder einzelne harmlos wirkte. In der Gesamtheit führten diese Schritte aber in den Faschismus.
Nun müssen Prism, Tempora und ähnliche Programme nicht in einem Faschismus wie im Dritten Reich münden. Aber sie sorgen für eine Beschneidung unserer Freiheit. Wenn wir heute schweigen, ducken und nicht unsere Wut hinausschreien über eine Regierung, die unsere Rechte nicht gegen die Übergriffe einer anderen Macht verteidigt, dann haben wir nicht mehr das Recht, uns darüber zu beschweren, dass wir uns nicht auf eine Demonstration trauen können, weil die Polizei mit Filmkameras anwesend ist und die Anwesenheit in eine entsprechende Datenbank einträgt (das ist längst so üblich, und wir haben geschwiegen). Oder dass ich im Telefonat mit meiner Mutter – oder einem türkischen Freund – Sorge haben muss, mich über tagespolitische Themen zu unterhalten, in denen allzu oft die Worte „Bombe“, „Attentat“, „Allah“ oder „Scheiß Globalisierung“ vorkommen (da sind wir jetzt).
Und das setzt schon das Wohlwollen voraus, dass die Abhörer nicht am Exposé meines nächsten Romans interessiert sind, oder der Mensch, der die Daten auswertet, den Inhalt des Gesprächs für persönliche oder geschäftliche Zwecke nutzt.
Ein Verbrechen am Volk
Gibt es eine Rechtfertigung für das systematisierte Abhören? Die Regierung behauptet, es seien Terroranschläge verhindert worden. Mal angeblich fünf, dann nur drei, zuletzt sieben. Das würde ich gerne überprüfen, aber die Überwacher lassen sich nicht überwachen.
Aber letztlich ist mir egal, ob Terroranschläge verhindert wurden. Der Verlust von Menschenleben ist schrecklich, aber wir nehmen ihn hin. Ein Tempolimit auf den Autobahnen würde nachweislich Menschenleben retten (also anders als die Überwachung, richtig wissenschaftlich belegt und überprüfbar). Unsere Freiheit, schnell Auto zu fahren, ist uns wichtiger.
Deshalb bin ich persönlich nicht bereit, meine Privatsphäre der Drohung zu unterwerfen, dass vielleicht einmal irgendwann irgendetwas passieren könnte und daher ausländische Geheimdienste, die schon deutsche Staatsbürger entführt und in Guantanamo eingesperrt haben und vermutlich auch gefoltert haben, mich totalüberwachen dürfen. Geheimdienste eines Landes, dem selbst Ex-Präsident Jimmy Carter inzwischen attestiert, dass „Amerika […] derzeit keine funktionierende Demokratie“ mehr hat, wie die Süddeutsche berichtet.
Und ich bestehe darauf, dass meine Regierung meine Rechte schützt, sei es gegen gewaltbereite Feinde auf der einen oder unsere machtversessenen „Freunde“ auf der anderen Seite.
Die Nullkommunikation
Und deshalb ärgert mich an dem Verhalten unserer Politiker, allen voran Frau Merkel, am meisten, wie sie reden. Man sollte meinen, unsere Regierung schulde uns, den eigenen, aufgebrachten Bürgern, eine Erklärung. Zumindest ein wenig Ehrlichkeit.
Statt dessen redet man über uns und unsere Köpfe hinweg, während wir mit Floskeln, Leeraussagen und Nullsätzen abgespeist werden. Eine konkrete Auseinandersetzung mit diesem Thema findet man auf Stefan Niggemeiers Blog.
Hier geht es um unsere Freiheit, um das Recht, uns frei zu bewegen. Nicht nur virtuell im Netz, sondern auch ganz real – denn sobald man ein Handy bei sich trägt, kann man auf Schritt und Tritt verfolgt werden.
Und man behandelt uns so, wie früher die Gegner im Kalten Krieg? Mit kalter Schulter und leeren Phrasen?
Was tun?
Was aber können Sie und ich tun? Man muss wohl an zwei Fronten kämpfen. Zum einen unserer Regierung Druck machen, diesen Leuten klarmachen, dass sich etwas ändern muss. Zum anderen werde ich in Zukunft meine Kommunikation absichern.
Ich werde mich notgedrungen doch mit dem Thema der Verschlüsselung auseinandersetzen müssen.
Wie man Emails sicher verschlüsseln kann, erklärt zum Beispiel der Spiegel.
Meinen öffentlichen Schlüssel werde ich in den nächsten Tagen auf einem Key-Server hinterlegen, damit man mich erreichen kann.
Den Chat lässt man wohl besser nicht mehr über Facebook oder Google Hangout laufen. Als Androidnutzerin werde ich Gibberbot probieren.
Mindestens ebenso wichtig wie der Selbstschutz ist der politische Weg. Unglaublich effektiv ist es, den oder die Abgeordnete/n Ihres Wahlkreises einfach mal anzurufen und die eigene Besorgnis auszudrücken. Das machen nicht viele Wähler, und deshalb ist es sehr wirksam. Drei oder vier Anrufe von unterschiedlichen Wählern erwecken da schon den Eindruck einer Welle. Informieren Sie sich, was er oder sie gegen diesen Skandal zu tun gedenkt.
Falls Sie dafür zu schüchtern sind, gibt es noch Abgeordnetenwatch. Da kann man den „Anruf“ über das Internet erledigen. Schreiben Sie außerdem Leserbriefe und Blogbeiträge. Twittern Sie darüber, spammen Sie Google+ voll, schreiben Sie es auf Facebook.
Und lassen Sie den Worten Taten folgen. Wählen Sie nur solche Abgeordneten, denen Sie auch vertrauen, sich in Ihrem Sinne einzusetzen.
Das einzige, was Sie und ich jetzt nicht tun dürfen, ist stumm bleiben.
Empört euch! Ich tu’s.